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Droit des successions franco-allemand

Reflexe im Internationalen Privatrecht und europäischen Erbrecht

Der Umgang mit einem grenzüberschreitenden Erbfall

Von Maître Petra Kuhn – Rechtsanwältin (Lyon/Berlin)
Vortrag RJECC, Straßburg – 22. Mai 2025


🔍 Praxisfall: Frau Renault

Frau Renault, französische Staatsangehörige, lebte seit 2008 in Berlin und ist am 2. Mai 2025 verstorben.

Sie hinterlässt zwei Töchter:

  • Anne, wohnhaft in Köln
  • Carine, seit 11 Jahren wohnhaft in Lyon

Zum Nachlass gehören:

  • 🏠 Eine Wohnung in Berlin
  • 🏡 Ein Ferienhaus in Arcachon
  • 💶 Bankkonten in Deutschland und Frankreich

❓ Die zentralen Fragen:

  • Welches Recht ist auf die Erbschaft anwendbar?
  • Welche Behörde ist zuständig für die Nachlassabwicklung?
  • Welche steuerlichen Verpflichtungen treffen die Erbinnen in Deutschland und Frankreich?

I. 🧭 Zuständigkeit und anwendbares Recht

📘 Grundsatz: Verordnung (EU) Nr. 650/2012

Für die Erbfolge gilt grundsätzlich das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes.

In diesem Fall: deutsches Recht.

✍️ Ausnahme: Rechtswahl

Frau Renault hat in ihrem Testament vom 25. Januar 2020 erklärt, dass französisches Recht auf ihren Nachlass Anwendung finden soll.
➡️ Dies ist nach Artikel 22 der Verordnung möglich (Rechtswahl durch letztwillige Verfügung).

💡 Sonderfall: Ehegatten-Schenkung

Wenn Frau Renault mit ihrem (verstorbenen) Ehemann am 22. März 2002 eine Schenkung unter Ehegatten abgeschlossen hätte, könnte dies eine konkludente Rechtswahl darstellen (Art. 83 Abs. 4).


II. 💶 Die steuerliche Behandlung im deutsch-französischen Kontext

🧾 Doppelbesteuerungsabkommen vom 3. April 2009

Ziel: Vermeidung der Doppelbesteuerung

  • 📌 Besteuerung im Belegenheitsstaat der Vermögenswerte
  • 📌 Aufteilung der Steuerbefugnis zwischen beiden Staaten
  • 📌 Steuergutschriften vermeiden doppelte Belastung

🔍 Anwendung auf Anne und Carine:

  • Anne (wohnhaft in Deutschland): Besteuerung nur ihrer Anteile an in Frankreich belegenen Vermögenswerten
  • Carine (wohnhaft in Frankreich): Besteuerung des gesamten Nachlasses mit Anrechnung der in Deutschland gezahlten Steuern

III. 📊 Freibeträge und Steuersätze

📉 Freibeträge (Frankreich):

VerwandtschaftsgradFreibetrag
Überlebender EhepartnerSteuerfrei
Kind100.000 €
Geschwister15.932 €
Neffe/Nichte7.967 €
Andere Personen1.594 €

📈 Steuerliche Progression (Frankreich, direkte Linie):

Steuerpflichtiger Anteil (€)Steuersatz
Bis 8.072 €5%
8.072 – 12.109 €10%
12.109 – 15.932 €15%
15.932 – 552.324 €20%
552.324 – 902.838 €30%
902.838 – 1.805.677 €40%
> 1.805.677 €45%

👶 Sonderfall: Minderjährige Erben

Wenn Carine minderjährig gewesen wäre, müsste zusätzlich geprüft werden, welches Recht auf das elterliche Sorgerecht Anwendung findet – gemäß Artikel 1 der EU-Erbrechtsverordnung nicht identisch mit dem Erbrecht.


🧠 Fazit

Die wichtigsten Reflexe bei einem grenzüberschreitenden Erbfall:

  • ✅ Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers
  • ✅ Prüfung einer möglichen Rechtswahl im Testament
  • ✅ Bewertung der steuerlichen Auswirkungen in Frankreich und Deutschland
  • ✅ Berücksichtigung von Sonderfällen: minderjährige Erben, Ehegattenschenkungen, Miteigentum usw.

📬 Kontakt der Referentin:

RAin Petra Kuhn – Rechtsanwältin (Lyon/Berlin)
📍 66, cours de la Liberté, 69003 Lyon (Frankreich)
📍 Joachimsthaler Straße 30, 10719 Berlin (Deutschland)
📧 pk@alexander-partner.com